Eines der bedeutendsten Probleme unseres Wirtschaftssystems liegt in dem Irrglauben, dass wir nur durch immer größeren Wirtschaftswachstum einerseits unseren Wohlstand mehren und andererseits auch die Armutsproblematik beseitigen können. Wir glauben, je mehr wir produzieren, umso mehr Einkommen haben wir, das wir verteilen können und umso einfacher ist es Armut zu beseitigen.
Selbst wenn es funktionieren würde, so wären wir von etwas anhängig, was auf Dauer unmöglich und zudem sehr gefährlich ist – konstantem Wachstum.
Wachstum bedeutet nicht nur, dass wir immer mehr konsumieren müssen, sondern auch, dass wir mehr und mehr an Ressourcen verbrauchen. Dies führt uns zu bereits heute ersichtlichen Umwelt- und Ressourcenproblemen. Um diese zu lösen wird kein Weg an den Gedanken zur Nachhaltigkeit vorbeiführen, wie etwa effizienter produzieren und weniger konsumieren. Es steht also in gewisser Weise im Widerspruch mit den bisherigen Leitgedanken unser Armutsproblem zu lösen.
Aber wir haben ohnehin ein ganz anderes Problem. Das skurrile ist nämlich, dass die Akzeptanz von Armut immer wieder gefordert wird, um den Umsatz zu sichern oder gar noch steigern zu können. Somit heben wir die Bedeutung des Wirtschaftswachstums über die Lösung des Armutsproblems. Eigentlich müssten wir es ohnehin längst wissen, dass Wirtschaftswachstum nicht das Armutsproblem lösen wird – wir haben seit fast 70 Jahren weltweit einen jährlichen Wirtschaftswachstum, der teilweise sogar zweistellig war und ist. Dennoch gibt es immer noch millionen Menschen, die in bitterer Armut leben und sich kein sauberes Trinkwasser leisten können oder an Hunger sterben. Dabei haben sie nicht einmal die reale Perspektive, dass es für sie oder ihre Kinder irgendwann besser wird. Der Wirtschaftswachstum führt vor allem dazu, dass die Schere zwischen arm und reich größer wird – auch wegen der Geldregel.
Umgekehrt – und das ist das Kuriose – würde die Lösung des Armutsproblems sofort spürbar ein Wirtschaftswachstum, wie in der folgenden Darstellung durch die größere Produktionsmenge angedeutet, hervorrufen. Denn all das Vermögen, das arme Menschen bekommen, geben sie für Konsum aus. Da es viele Dinge gibt, die arme Menschen in einer ersten Phase dringend benötigen und in einer zweiten Phase sehr gut gebrauchen können, wie dann etwa Waschmaschinen, Kühlschränke und Fernseher, wird dadurch in Summe zudem ein sehr hoher gesellschaftlicher Nutzen geschaffen. Aber eben auch „nur“ ein gesellschaftlicher Nutzen und nicht ein Nutzen für die Reichen und die Entscheidungsträger.
Vielmehr würde es die Entscheidungsträger vor eine schier unlösbare Aufgabe stellen, denn der in diesem Fall explosionsartig ansteigende Wirtschaftsumsatz würde die Potenziale unseres Planeten innerhalb kürzester Zeit aufbrauchen – egal ob Energie, Material oder Abbau von Giftstoffen. Denn auch hier gibt es eine Art Ausbeutung, die nichts mit Geld oder Arbeitsausbeutung zu tun hat. Unser System braucht heute mehr als je zuvor arme Menschen, die es sich nicht leisten können, so zu leben wie wir.
Würden sie es können, könnten wir es uns alle nicht mehr leisten. Das bedeutet wir brauchen die Armen nicht einmal nur dazu, dass wir unseren Reichtum erlangen, sondern auch dazu, dass wir von unserem Reichtum so leben können, wie wir es tun. Das ist ein weiterer Grund, warum es für die Lobbyisten so einfach ist, die Geldregel aufrecht zu halten, denn wenn wir die Armut als Konsumbremse verlieren, müssen wir alle kürzer treten. In diesem Sinne ist jeder, der etwas hat, gerne bereit Armut als systemdazugehörig zu erachten und den Lügen der Kapitalisten (es sind Lügen, weil jeder der von Wirtschaft Ahnung hat, weiss es besser) zu glauben, denn es schützt unser Verständnis von Wohlstand. Es hat uns bisher davor bewahrt umweltbewusst leben zu müssen – auch wenn wir schon bald nicht mehr daran vorbei kommen. Aber mit jedem Menschen, dessen Lebensstandard wir am Existenzminium oder darunter halten, können wir mehr konsumieren – kaum vorzustellen, wenn jeder Mensch maximal nur soviel Ressourcen beanspruchen dürfte, wie eine Erde geteilt durch 7 Milliarden nachhaltig hergeben kann. Dann ist es doch einfacher Sklaven als Platzhalter für unsere Ansprüche zu besitzen, die für uns auf ihre Anteile verzichten.

Darstellung: wachsende Produktnachfrage bei gerechter Produktverteilung kann nur durch Verzicht auf verschwenderischen Konsum kompensiert werden; Kreisdiagramm entspricht Produktmenge
Auch wegen der Arbeit der Lobbyisten sind viele der Meinung, dass der Verlust von Arbeitsplätzen kritisch wäre, weil es die Armut vergrößere. Die sogenannte Gefahr, die heute durch sehr stark ausgeprägte Rationalisierung und Automatisierung ausgeht, würde umso gravierender je weniger wir konsumieren. Dabei liegt eine Grundidee der Nachhaltigkeit darin, dass wir weniger konsumieren sollen. Das würde bedeuten, dass sehr viele Arbeitsplätze verloren gingen, und damit die Konkurrenz unter den Armen noch größer wird. Die Folge wäre eine noch einfachere Ausbeutung der Armen und eine größere Menge an armen Menschen. Wenn das stimmt, dann stecken wir in einem Dilemma. Wollen wir unsere Umwelt retten und weniger konsumieren, werden wir die Armut vergrößern. Entscheiden wir uns hingegen dafür, das Armuts¬problem zu beseitigen, dann wird der Konsum derart steigen, dass an Umwelt- und Ressourcenschutz nicht mehr zu denken sein wird. Seltsamerweise hängen die beiden Themen sehr eng zusammen und es wird so getan als dürften wir keines der Probleme lösen, weil sonst das jeweils andere zu bedeutend würde.
Dabei ist dieser Gedanke nur ein Produkt der Angstmacherei und völlig gegenstandslos. Die beiden Probleme müssen gleichzeitig gelöst werden und vor allem haben sie unterschiedliche Ursachen.
Real geht kein gesellschaftlicher Nettonutzen verloren, wenn wir auf etliche Produkte verzichten, weil wir vieles von dem, was wir konsumieren (wir, die Reichen der Menschheit) mehr gesellschaftliche Kosten in Form von Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung verursacht, als dass es uns Nutzen stiftet. Wenn wir uns Gedanken darüber machen was passiert, wenn wir aber weniger konsumieren, dann läuft es darauf hinaus, dass wir weniger produzieren und deshalb weniger Arbeitsplätze haben. Soweit ist das die logische Konsequenz, aber dann wird es bizarr, wenn wir behaupten, dass wir dann nicht mehr alle satt bekämen und diese nicht das Nötigste zum Leben hätten. Dabei dürfte es doch kein Problem sein, das Nötige zu produzieren, schließlich haben wir im ersten Schritt die Produktionsleistung reduziert und Arbeitskräfte entlassen. Das bedeutet, dass alles Notwenige vorhanden ist, um das zu produzieren, was notwendig ist. Das Problem ist auch hier wieder sehr einfach. Das Problem der Armut ist die Armut und hier wird es deutlicher als irgendwo anders. Wir könnten alles produzieren, was die Menschheit bräuchte, aber wir tun es nicht, weil diese Menschen arm sind. Dennoch klammern wir uns immer noch an den Gedanken, dass wir Arbeitsplätze retten müssen, die Dinge produzieren, die wir nicht brauchen. Arbeitsplätze haben keinen Wert, bis auf jenen, den sie produzieren. Wenn oftmals auch über das Problem der Automatisierung gesprochen wird, wo Roboter die Arbeitsplätze zerstören und das als Gefahr gesehen wird, dann wird auch hier wiederum dem Arbeitsplatz mehr Wert zugesprochen als dem Produkt. Wenn ein Mensch eine Arbeit verrichtet, die eine Maschine kostengünstiger, besser und effizienter vollführen kann, nur damit er einen Arbeitsplatz hat, dann ist das eine Beschäftigungstherapie. Dabei könnte man die Person ebenso gut anstellen Schmetterlinge zu zählen oder aber etwas gesellschaftlich Wertvolles zu machen, wie sich um alte Menschen zu kümmern oder Kinder zu erziehen – warum auch nicht die eigenen. Arbeit hat keinen Selbstzweck. Es gab eine Zeit in der der Ausdruck „Arbeit macht frei“ geprägt wurde. Wenngleich dies blanker Hohn war, so findet sich auch heute noch ein Teil dieses Gedankengutes in unserer Gesellschaft wieder – dies allerdings in einem anders gearteten Kontext.
Das einzige Problem das wir haben, ist festzulegen, was wir produziert haben wollen, damit jeder Mensch ein würdiges Leben führen kann und dann, gleichbedeutend wie wenig wir dafür arbeiten müssen, dafür zu sorgen, dass jeder einen Teil dieser Arbeit verrichten kann und dafür mindestens jenen Anteil an Produkten erhält, der für ein menschenwürdiges Dasein notwendig ist. Wir haben bei weitem kein Produktionsproblem oder zu geringes Wirtschaftswachstum oder zu wenig Arbeit. Das Problem ist, dass wir den armen Menschen das Recht vorenthalten, an dem Kreislauf von Konsumrecht und Konsumproduktion teilzunehmen, indem wir dafür sorgen, dass sie arm sind und dies auch bleiben.
Wir brauchen nicht mehr Produkte als wir benötigen, um alle satt zu bekommen und Armut zu beheben. Ebenso bedürfen wir nicht Arbeit um ihrer selbst willen, sondern nur jene Arbeit die notwendig ist. Armut ist dann und nur dann kein Problem mehr, wenn jeder Teil des Systems werden kann und sich durch gesellschafts¬orientierte Arbeit sein Anrecht darauf verdient, von der gesellschaftlichen Produktion zu profitieren und so die Möglichkeit hat, ein allgemein als würdiges Leben anerkanntes Leben zu führen. Dieses Prinzip eines Kreislaufsystems von gerecht aufgeteiltem Konsumanspruch und Arbeitsaufteilung ist in der folgenden Darstellung aufgeführt. Es entspricht dem Grundgedanken eines gesellschaftlichen Handelns ohne Ausbeutung von Sklaven und Ausnutzung von Notständen.
Haben wir das verstanden, ist das Armutsproblem gelöst und wir müssen uns nicht mehr davor fürchten nachhaltig zu leben, mit der Ressourcenverschwendung aufzuhören oder zu viel Freizeit zu haben. Wir müssen nur rausfinden, was uns Nutzen schafft, aber auf keinen Fall müssen wir Arbeit erfinden, um Arbeitsplätze zu haben.

Darstellung: Kreislauf aus Produktnachfrage und Arbeitsleistung. Nicht die Arbeitplätze sind von Bedeutung, sondern dass alles produziert wird, das benötigt wird.
Produzieren wir erst einmal alles was wir benötigen, dann spielt es keine Rolle mehr, wie wenig dafür gearbeitet werden muss. Dies gilt selbst dann, wenn im Extremfall eine Arbeitsstunde im Jahr eines einzelnen Menschen dazu ausreichen würde, um die Bedürfnisse von derzeit 7 Milliarden Menschen zu decken. Diesen Zustand nennen wir hochachtungsvoll Paradies und fast jede Weltreligion strebt, dorthin zu gelangen und wir bezeichnen es als das Höchste, das wir uns erträumen können und doch wird es durch unser Systemverständnis und unsere Ängste als Worst-case-Szenario beschrieben. Aber warum sollte man sich wundern, schließlich gehen das Wirtschaftssystem und die Realität seit Jahren getrennte Wege. Wir konzentrieren uns seit langem nicht mehr darauf, Werte zu produzieren, sondern Dinge, die Geld kosten.
Unser Planet und unser Wunsch nach Nachhaltigkeit werden uns noch vor viele Probleme stellen. Eines davon wird es sein, Armut richtig zu verstehen und zu beseitigen.