Herausforderungen und Chancen eines Smart Grids

Dem Smart Grid wird eine bedeutende Rolle in unserem zukünftigen Energiesystem mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energie zugesprochen. Neben den Fragen der Art der Kommunikation und der Steuerung in einem Smart Grid muss sich auch die Frage gestellt werden, welche Verbraucher und Puffer in dem Gesamtsystem genutzt werden können. Ebenso wichtig ist es auch, zu verstehen, wie sich ein Energiesystem mit viel erneuerbaren Energien wandelt, welche Herausforderungen sich damit ergeben und welche Aufgaben alternative Energieproduzenten übernehmen müssen.

Welche Rolle können Haushaltsgeräte übernehmen?

Mit rund 240.000 Haushalten mit durchschnittlich 2,4 Personen[1] und einem der Nutzungshäufigkeit angemessenen Gleichzeitigkeitsfaktor lassen sich rund 35 MW und etwa 105 MWh pro Tag durch gezielte Betriebszeiten von Wasch- und Spülmaschinen sowie Trockner so verlagern, dass sie Energie dann benötigen, wenn am meisten Wind- und Solarenergie gewonnen wird. Das entspricht etwas mehr als 4 % der maximalen Leistung in Luxemburg.

Bei Tiefkühltruhen und Kühlschränken lassen sich maximal 17 MW steuern, moderne energieeffiziente Geräte vorausgesetzt, allerdings nur sehr kurzfristig, also nur als Primär- oder Sekundärregelenergie. Dabei gilt aber, dass je mehr Energie verschoben werden soll, umso geringer wird die regelbare Leistung.

Wie sinnvoll können E-Autos integriert werden?

Mit einem Bestand von rund 400.000 kleinen Fahrzeugen[1] in Luxemburg könnten theoretisch 1.480 MW an Regelleistung bereit gehalten werden. Dies entspricht fast dem doppelten der aktuellen Peaklast, also für viele ein Anlass, es als Lösung für die Integration von erneuerbaren Energien zu feiern. Allerdings verbrauchen diese Fahrzeuge auch jeden Tag Energie und bei einer jährlichen Fahrleistung von 12.000 km entspricht dies täglich durchschnittlich 2.600 MWh oder umgerechnet 110 MW an Dauerleistung. Das bedeutet, dass für die Produktion der Nutzenergie für E-Autos 510 MW an Anlagen für erneuerbaren Energie installiert werden müssten, soll die Energie aus eben solchen stammen. Das Problem von wind- und sonnenarmen Stunden müsste aber dann zusätzlich gelöst werden. Sollen hierfür die Batterien der E-Autos genutzt werden, wären die Grenzen des Möglichen schnell erreicht. Das bedeutet, dass E-Autos keine Lösung sein können. Sie können allenfalls, wenn es richtig angegangen wird, das Problem lösen, welches sie selbst hervorrufen.

Zusätzlich muss bedacht werden, dass E-Autos mit dem Ziel einer nachhaltigeren Mobilität eingeführt werden, wobei neben dem vielen Verkehr, den Unmengen an Parkbedarf auch der hohe Bedarf an grauer Energie ein Problem darstellt, das gelöst werden muss. Zur Zeit werden Fahrzeuge nur während 4-6 % der Zeit genutzt. Aber das kann nicht als Lösungsansatz für den Energiesektor ausgelegt werden, da es vom Prinzip her ein Fehler ist. Deshalb wird zumindest ein Großteil an Fahrzeugen durch Carsharing überflüssig werden. Das hat aber zur Folge, dass die Autos wesentlich mehr an täglicher Fahrleistung aufweisen und folglich immer dann laden müssen, wenn sie stehen. In diesem Fall ist die Möglichkeit regulierend in das Stromnetz einzugreifen nahezu nicht mehr gegeben.

Welche Potenziale ergeben sich durch die Gebäudetechnik?

Eines der wichtigsten Potenziale, um den Anteil an erneuerbaren Energien zu erhöhen, liegt bei den Funktionalgebäuden wohl in der Energieeinsparung, sei es durch bedarfsgeführte Lüftungsanlagen, die zu hohe Betriebszeiten der Ventilatoren vermeiden, und in Folge auch einen nicht beachtlichen Teil der Befeuchtung überflüssig werden lassen. Ebenso dient das Nutzen einer Tageslicht abhängigen Beleuchtung dazu, die Verbrauchsspitzen in den Mittagsstunden zu senken. Zwar ist das dann wenn am meisten PV-Strom zur Verfügung steht, aber genau jene Bedarfsabsenkung wird benötigt um Elektrofahrzeuge zu laden, wodurch dann auch gleich klar ist, dass E-Auto tagsüber, also bei den Funktionalgebäuden aufladen können müssen, weil dann die Arbeiter und demnach die Fahrzeuge dort sind. Nachts, wenn die Autos zu Hause stehen, hat nämlich noch selten die Sonne geschienen.

Ein weiteres Potenzial liegt in der Speicherung von Nutzenergie, sowie der alternativen Energieproduktion. Immer wieder wird in Verbindung mit erneuerbaren Energien und Smart Grid über Batterien gesprochen und hier auf schier unglaubliche Entwicklungspotenziale verwiesen. Allerdings stellt der Wärme- und Kältebedarf trotz Energieeinsparungen noch immer einen großen Anteil am Energiebedarf dar. Gleichgültig welche Speichertechnologie sich durchsetzen wird, ökologischer als Wasser wird keine sein. Dabei können 10 m3 bei einer Temperaturspreizung von 5 Kelvin 58 kWh an Nutzenergie bzw. indirekt 12 kWh an elektrischer Regelenergie und im Bedarfsfall in Ausnahmesituationen problemlos doppelt oder dreimal soviel Energie puffern. Ist zusätzlich eine Betonkernaktivierung vorhanden sind Energieverlagerungen von 12 Stunden kein Problem. Diese Puffermöglichkeiten, die in Ausnahmefällen durch eine geringere Effizienz von Wärmepumpen oder Kältemaschinen erkauft werden, sind deshalb für ein Smart Grid so überaus bedeutend, da sie Speichersysteme ersetzen, die nur wenige Male im Jahr gebraucht würden, und so sehr hohe spezifische Investitionskosten je gespeicherter kWh aufweisen würden.

Ein Kaltwasserspeicher ist auch deshalb interessant, weil er nicht nur als indirekter Stromspeicher genutzt werden kann, sondern zu jeder Zeit, in der er nicht als „Stromspeicher“ genutzt werden braucht, dazu dienen kann, kühle Nachtstunden für die Kälteproduktion zu nutzen oder den effizienten Teillastbereich auszuschöpfen. Gleichzeitig kann durch die verringerten Start- und Stoppvorgänge die Lebensdauer der Kältemaschinen gesteigert werden. Wird zusätzlich bedacht, dass etliche Gebäude über Sprinklertanks mit über 100 m3 Kaltwasser verfügen, wird deutlich welches Potenzial in unseren Gebäuden schlummert. Smart Grid bedeutet letztlich Synergien zu nutzen und diese finden sich nicht, wenn blind nach Batterien geschrien wird und hier auf einen Mangel hingewiesen wird. Synergien lassen sich in der Gebäudetechnik und dem Verständnis von Energiebedarf und Komfortansprüchen finden.

Was ist die tragende Rolle der alternative Energieproduktion?

Die alternative Energieproduktion in Funktionalgebäuden ist deshalb wichtig für ein Smart Grid, da diese eine Schnittstelle zwischen dem Strom-, Wärme- und Gasmarkt darstellen und mitunter bedeutende Leistungsanforderungen aufweisen. Auch wenn sich viele Diskussionen in Bezug auf Smart Grids auf Bedarfsglättung und Stromspeicher zur Nutzung von Peaks an Solar- und Windenergie konzentrieren, so wird beides nicht die Herausforderung sein, die sich in Hinblick auf ein erneuerbares Energiesystem stellen wird. Bei Smart Grid geht es nämlich nebst der Nutzung von erneuerbaren Energien vor allem auch um Versorgungssicherheit. Werden die Produktionsprofile in einem Stromnetz mit erneuerbaren Energien betrachtet[2], so ist festzustellen, dass dort kein Platz mehr für Grundlastkraftwerke, wie Kohle- oder Kernkraftwerke vorhanden ist. Andere Technologien wie dezentrale BHKW, Gaskraftwerke und ähnliches müssen dann aber in Perioden mit sehr geringen Wind- und Solarausbeuten die benötigte Leistung bereitstellen können und demnach zu allen anderen Zeiten kein Strom produzieren. Je höher der Strombedarf in den ungünstigen Perioden ist, umso mehr muss solche Leistung vorgehalten werden, wenngleich der Strombedarf in Zeiten von großen Wind- oder Solarangeboten möglichst hoch sein soll und den Wärmebedarf soweit wie möglich befriedigen soll. Denn der Umweg über elektrischem Strom, ist die einzige Möglichkeit um unseren Wärmebedarf im großen Stil mit erneuerbaren Energien zu versorgen. In diesem Kontext wird auch gerne von Power-to-gas oder Power-to-heat gesprochen.

Fakt ist, dass bei modernen Funktionalgebäuden Wärmepumpen die Wärme- sowie die Kälteversorgung übernehmen können. Insbesondere bei Luftwärmepumpen verschärft aber das Effizienzproblem im Winter das Versorgungsproblem.

Deshalb sollte hier die Verbindung zwischen Gas-, Strom- und Wärmesektor durch alternative Energiequellen geschaffen werden. Neben Wärmepumpen sollte dann im Bedarfsfall, also stromgeführt, ein BHKW, wie beispielsweise eine Brennstoffzelle die Wärmeversorgung alternativ zur Wärmepumpe übernehmen und nicht nur den Strombedarf durch die Abschaltung der Wärmepumpe senken, sondern gleichzeitig einen Teil der benötigten Versorgungssicherheit durch eigene Stromproduktion übernehmen.

Was hier aber noch im Verständnis und in den Regulierungen fehlt, ist die ökologische Notwendigkeit für all jene Technologien, die die Integration von erneuerbaren Energien fördern. Noch sind alle Bewertungsmethoden rein eindimensional und kennen nur schwarz und weiß bei Technologien oder Energiearten. Ein Denken in Richtung Smart Grid fehlt hier noch gänzlich. Wenn wir nicht lernen Gebäude als Teil des Systems zu betrachten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass sich Gebäude nicht so wandeln, wie es für das System von Nutzen wäre.

[1] Luxemburg in Zahlen, Statec, 2016

Die Diebin im Klostergarten

Ein Ast knackte unter ihrem Fuß, als sie darauf trat. Erschrocken blieb Asylma stehen und duckte sich instinktiv. Besorgt blickte sie sich um, doch keiner schien sie bemerkt zu haben. Zufrieden strich sie sich über den Bauch und prüfte ob keine Äpfel aus dem Tuch fallen konnten, das sie sich unter ihrer Jacke um den Hals gebunden hatte. Es war zwar zu mild für eine Jacke, aber diese würde ihr helfen, wenn sie hinter der Klostermauer gesehen würde. Hier im Klostergarten half sie ihr natürlich nichts, denn sie hatte hier nichts verloren. Deshalb war sie auch froh, dass keiner sie gehört hatte. Doch nun musste sie sich beeilen, denn die Stadtwachen würden bald patrouillieren. Sie gab Acht, nicht noch einmal auf etwas zu treten, das sie verraten konnte. Der Garten war nicht mehr so gepflegt, seid Franziskus, einer der älteren Mönche im Frühling einer Grippe erlegen war. Sie hatte ihn gut gekannt, denn sie war einige Male von ihm erwischt worden. Jedes Mal hatte sie ihm drei Nachmittage im Garten helfen müssen, als Buße, wie er zu sagen pflegte, und damit sie über ihre Sünden nachdenken konnte.
Beim ersten Mal hatte sie gedacht, es wäre ihr Ende, so sehr hatte er getobt und sie verängstigt. Doch dann hatte sie gemerkt, dass er gar nicht böse sein konnte. Vergangenes Jahr war sie sogar einige Male zu ihm in den Garten geschlichen, um ihm zu helfen. Er konnte so gut Geschichten erzählen. Sie allem stammten aus dem einen Buch, wie er immer wieder sagte. Seid Bruder Franziskus Tod war es aber besser, wenn sie nicht mehr erwischt wurde. Er hatte sie immer in Schutz genommen, und ihre Sünde verschwiegen, wenn jemand sie bei der Arbeit sah.
Sie näherte sich dem alten Nussbaum, blickte sich noch einmal um und kletterte mit geübten Griffen den Stamm hinauf. Vorsichtig balancierte sie sich zur Mauer, die den Klostergarten vor der restlichen Stadt versteckte. Plötzlich hörte sie einen Schrei. Reflexartig ließ sie sich auf den Ast nieder. Der Schrei galt nicht ihr. Es war ein schmerzerfüllter Schrei und er kam jenseits der Mauer her.
Ein Mann stöhnte auf als ein Schlag ihn zu Boden warf. Asylma kroch zur Mauer hin und konnte sehen, wie ein verhüllter Mann nach einer Tasche griff und sie dem am Boden liegenden Mönch entriss. Dieser blieb reglos liegen, während der Dieb in einer Gasse verschwand. Stille kehrte ein. Niemand außer ihr hatte von dem Überfall Notiz genommen. Sie war hin- und hergerissen. Sie musste verschwinden, ansonsten würde es Ärger geben. Von ihrem Vater, den Wachen oder noch schlimmer, wenn einer vom Kloster sie entdeckte. Der Mönch bewegte sich nicht. Aber vielleicht lebte er noch.
Sie riss sich zusammen und fasste einen Entschluss. Sie löste das Tuch mit den Äpfeln und versteckte es unter dem Efeu auf der Mauer. Sie würde es später holen kommen. Sie kletterte hinunter und überprüfte ob nicht doch einer heraneilte. Doch die Gasse blieb wie ausgestorben. In einem Bogen näherte sie sich dem Mönch und kniete sich neben ihn. Er lebte noch, aber sein Atem war schwach. Sie wollte seinen Kopf anheben aber er war ganz warm und feucht.
„Hilfe“, rief sie panisch. Sie erkannte ihn und wusste, dass er schwer verletzt war. Wieder nur Stille. Sie versuchte sich zu beruhigen.
Im Kloster war sicher einer, der helfen konnte. Viele die krank waren gingen dorthin, überlegte sie. Aber das würde Ärger geben, wenn sie so spät dort auftauchte. Doch sie konnte den Mann nicht hier liegen lassen. Sie rief all ihren Mut zusammen und ging zum Seiteneingang des Klosters und klopfte. Mehrmals musste sie es wiederholen und immer fester schlug sie gegen die Tür.
„Scher dich du Bettler, es gibt heute nichts mehr zu essen.“
Asylma hielt nur kurz inne und klopfte erneut. „Ich brauche eure Hilfe!“
„Jetzt gib doch endlich Ruhe!“ Ein stämmiger Mönch öffnete sichtbar verärgert die Tür. Er kniff die Augen zu als er vor sich ins Dunkel blickte und dort keinen sah. Verwundert senkte er den Blick.
„Bruder Johannes ist überfallen worden. Er blutet. Ihr müsst ihm helfen.“
Der Mönch setzte an zu widersprechen, doch er besann sich schnell.
„Wo? Führe mich zu ihm, Kind!“
„Bruder Johannes! Bruder Johannes!“ Er kniete sich hin und betrachtete die Wunde am Kopf. Obwohl es schmerzen müsste, zuckte Bruder Johannes nicht.
„Wird er es schaffen?“, flüsterte Asylma besorgt.
„Ich weiß es nicht. Er ist bewusstlos und er verliert viel Blut. Geh und ruf die Anderen. Ich brauche Verband und heißes Wasser.“
Asylma drehte sich um und stürmte los.
„Beeil dich!“, rief er ihr hinterher, doch sie war bereits im Kloster verschwunden.
Es war ein schmaler Gang, der im Bereich der Tür nicht beleuchtet war. Die Wände wirkten bedrohlich und sie musste sich zusammenreißen, um nicht wieder hinaus zu rennen. In vier Räumen brannte Licht und sie wusste nicht wohin.
„Hilfe!“, rief sie. Doch ihre Stimme hier zu hören, machte ihr noch mehr Angst. Dann sah sie wieder das Blut vor sich und lief in den ersten Raum. Doch er war leer. „Hilfe“, rief sie verunsichert und lief in das zweite Zimmer. Ein Mönch kam ihr bereits im Türrahmen entgegen.
Bevor sie recht ans Halten kam, donnerte ihr eine derbe Ohrfeige entgegen und ließ ihr Hitze in den Kopf steigen.
„Hier wird nicht gelaufen!“, schimpfte der Mönch im Türrahmen.
„Ich brauche eure Hilfe. Ihr müsst mir helfen…“
Eine weitere Ohrfeige brachte sie aus dem Gleichgewicht.
„Bitte, Bruder … Bruder Johannes ist am Verbluten“, sie hatte sich an ihrem Peiniger vorbeigedrückt und wandte sich an einen Anderen.
Der Erste wollte ihr abermals nachstellen, aber der Prior hielt ihn davon ab.
„Beruhig dich und erzähl was passiert ist.“ Er war älter als die Anderen und seine Stimme war befehlsgewohnt.
Asylma nahm tief Luft und erzählte den Vorfall in drei Sätzen.
Der Prior gab Anweisungen und folgte Asylma nach draußen. Ihr Peiniger folgte ihnen unaufgefordert.
„Bruder Simeon, wie geht es ihm?“
„Schlecht Prior Wilhelm, er hat viel Blut verloren und er ist bewusstlos. Es ist ein Wunder, wenn er die Nacht überlebt.“
„Dann sollten wir beten.“
„Habt ihr die Tücher?“, fragte Bruder Simeon.
„Nein, die kommen gleich.“
Bruder Johannes sollte die Bücher bringen“, schaltete sich Bruder Ulrich ein. Dessen Ohrfeigen brannten immer noch auf Asylmas Wangen. „Trägt er sie bei sich?“
„Erst stillen wir die Blutung“, meinte Bruder Simeon und konnte einen belehrenden Ton nicht unterdrücken.
„Die Bücher sind unersetzlich!“
„Darauf dürfte der Dieb es auch abgesehen haben. Geld konnte er keines vermuten.“
„Das freche Gör hat sie sicher gestohlen.“
„Reiß dich zusammen, deine Worte sich erfüllt von Hass. Sie hat mich gerufen. Wenn Bruder Johannes es überlebt, dann hat er es ihr zu verdanken.“
Jemand brachte Tücher und drückte Bruder Ulrich zur Seite, der nicht aufhörte Asylma mit bösen Blicken zu belegen.
„Wir brauchen eine Trage.“
„Hast du gehört, geh eine Trage holen“, blaffte Bruder Ulrich den Ankömmling an.
„Nein, ich brauche dich hier. Mädchen, weißt du wo das Hospiz ist?“
„Ja“, antwortete Asylma zaghaft.
„Dann geh dorthin, sie sollen Steine wärmen und zwei mit einer Trage herschicken.“
Asylma gehorchte ohne zu zögern. Sie hätte längst verschwinden sollen, doch nun war es auch egal.
„Warum sie?“ Bruder Ulrich gefiel das gar nicht.
„Ich will nicht, dass sie hier zusehen muss.“
„Warum ist sie überhaupt noch hier?“
„Weil sie sich um ihn sorgt!“
„Eher ein schlechtes Gewissen, weil sie mit dem Dieb unter einer Decke steckt und nun kalte Füße bekommt.“
Bruder Simeon brummte genervt.

Drei Tage lag Bruder Johannes im Hospiz. Fieber hatte sich seiner angenommen, doch die Wunde am Kopf war bereits am Heilen. Sie war nicht das Problem, hatte Bruder Simeon Asylma erklärt, als sie am Tag nach dem Überfall ins Hospiz gekommen war, um nach Bruder Johannes zu schauen. Auch am dritten Tag kam Asylma vorbei, aber diesmal standen viele Mönche und einige Schwestern um sein Bett. Bruder Johannes war aufgewacht. Asylma drehte sich gleich um, als sie den Andrang bemerkte.
„Nein, bleib Asylma“, rief Bruder Simeon sie zurück.
„Dieses dumme Mädchen hat hier nichts verloren“, ertönte die vertraut unangenehme Stimme.
„Sie hat sich um Bruder Johannes gesorgt. Mehr als Einige von uns.“
„Die Bücher waren von hohem Wert für uns und für die Kirche“, zeigte Ulrich immer noch keine Einsicht und machte deutlich, dass das Thema für ihn nicht abgeschlossen war.
„Also ist es beschlossen?“, fragte Bruder Simeon in die Runde und setzte ein unterbrochenes Gespräch fort.
„Ja, Bruder Simeon“, beendete der Prior die Diskussion. „Dir obliegt die Verantwortung, dass alles Nötige veranlasst wird. Du hast mein Vertrauen und meinen Segen. Wir alle sind froh, dass du lebst Bruder Johannes. Wir werden beten, dass sich alles zum Guten wendet.“
Einige verabschiedeten sich persönlich, andere gingen mit einem Nicken. Rasch löste sich die Traube auf und nur mehr Asylma, Bruder Johannes und Bruder Simeon blieben zurück.
„Bruder Johannes, Asylma ist nun da.“
Dieser öffnete die Augen, auch wenn es ihm sichtlich schwerfiel.
„Komm herüber mein Kind. Er ist noch ganz schwach“, meinte Bruder Simeon in einem sanften Ton.
Bruder Johannes zuckte mit einer Hand bis Asylma sie griff und er die ihre leicht drückte. „Danke Asylma, ich verdanke dir mein Leben.“
„Bruder Simeon hat euch geheilt, ich habe gar nichts gemacht“, erwiderte Asylma verlegen.
Seine Lippen zuckten als wollten sie ein Lächeln formen.
Dann drehte er den Kopf zu Bruder Simeon. „Sie soll die Wachen übernehmen.“
Es war kaum verständlich, aber Bruder Simeon nickte und daraufhin schloss Bruder Johannes müde aber erleichtert die Augen.
Bruder Simeon zog die Decke zurecht und überprüfte ob die Steine noch warm waren. „Komm, lass uns eine paar Schritte gehen Asylma.“
Sie gingen in den Garten des Hospizes. Hier wuchs eine Vielzahl an Kräutern, aber auch viel Gemüse.
„Ihr scheint euch zu kennen“, stellte Bruder Simeon fest. „Seine Bitte hatte er mir bereits vorher anvertraut, als ich ihm von deiner Sorge erzählt habe.“
Asylma nickte, antwortete aber nicht. Er kannte sie, weil er manchmal dabei gesessen hatte, wenn Asylma Bruder Franziskus im Garten geholfen hatte. Er wusste um ihre Sünden.
„Möchtest du seinem Wunsch entsprechen? Ich verstehe, wenn du nein sagst. Außer mir weiß es keiner und wird auch keiner es gewahr werden, wenn du ablehnst.“
„Was ist mit Bruder Johannes?“
„Nun, dass er schlecht sieht, weißt du wahrscheinlich?“
„Ja, auch wenn viele es ihm nicht anmerken.“
„Solange er sich dort befindet, wo er sich auskennt und alles seinen Platz hat. Aber bei einem der Schläge oder beim Sturz hat er sich so verletzt, dass er seine Beine nicht mehr bewegen kann. Er kann nicht mehr aufstehen, vielleicht nie wieder.“
„Das tut mir leid.“
„Das weiß ich. Aber er ist nicht mehr wirklich krank, deshalb verlässt er Morgen das Hospiz und kommt zurück ins Kloster. Aber es soll einer bei ihm sein. Zumindest solange, bis er damit zurechtkommt.“
Asylma biss sich auf die Lippen. Bruder Simeon merkte ihr Unbehagen und nickte ihr zu.
„Ich würde es gerne. Aber ich weiß nicht, ob mein Vater es mir erlauben wird.“
„Du wirst zwei Tagesrationen Essen als Lohn erhalten. Das wird wohl das Problem lösen?“
Asylma senkte beschämt den Kopf und nickte.
„Bruder Johannes hält viel von dir, sonst hätte er diesen Wunsch nicht geäußert, denn viele werden es ihm übelnehmen. Ich aber vertraue ihm und deshalb auch dir. Es ist eine Prüfung, aber ebenso eine Chance für dich.“

Am Folgenden Nachmittag ging Asylma wie besprochen zum Seiteneingang des Klosters. Sie musste nicht lange warten, bis Bruder Simeon sie dort in Empfang nahm. Für Bruder Johannes war im Erdgeschoss ein Zimmer geräumt worden. Dort lag er bereits in einem Bett und starrte gegen die Decke als die Beiden eintraten.
„An das Gefühl dauernd liegen zu bleiben, muss ich mich erst gewöhnen“, seine Stimme war wieder kräftig und auch ansonsten wirkte er erholt. Er war nie einer gewesen, der gerne klagte und so klang auch nun seine Stimme leicht belustigt.
„Andererseits habe ich auch reichlich Zeit, mich daran zu gewöhnen, Bruder Simeon.“ Er brauchte nicht zu sehen, wer hereintrat. Die Meisten erkannte er am Klang der Schritte.
„Wir alle müssen das beste aus dem machen, was uns gegeben ist“, antwortete Bruder Simeon.
So wie die Mönche redete sonst keiner in der Stadt. Asylma mochte es den Mönchen zuzuhören, jedenfalls denen, die nett zu ihr waren.
„Wohl war.“ Er machte eine Pause und drehte seinen Kopf, sodass er die Beiden ansah. „Asylma, mein Kind.“
Zögernd trat sie zu ihm heran.
„Bruder Franziskus bat mich ein Auge auf dich zu werfen, wann immer es mir möglich ist. Nun hast du über mich gewacht. Gottes Wille ist unergründlich, und manchmal hat er seine ganz eigene Art, uns Zeichen zu senden.“
Mit diesen Sprüchen konnte Asylma nichts anfangen. Gott war ihr fremd, und sie wusste nichts von seinen Zeichen, die andere überall zu sehen glaubten.
„Danke Bruder Simeon, dass du mich verstehst. Andere werden es nicht tun.“
„Es ist nicht an uns Gottes Willen infrage zu stellen. Sorge dich nicht.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und schloss die Tür.
„Setz dich mein Kind“, forderte Bruder Johannes Asylma auf.
Sie zögerte verunsichert, sah sich aber nach einem Stuhl um. In der Ecke standen ein kleiner Tisch und davor ein schlichter Holzstuhl. Sie wusste nicht was sie erwartete, aber der Mönch nickte ihr ermutigend zu.
„Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?“, fragte er nachdem sie eine Weile saß.
Asylma wurde es unwohl. Sie überlegte, was sie antworten sollte, und wählte ihre Worte mit Bedacht.
Er stellte einige Fragen zum Dieb und erzählte auch was ihm in Erinnerung geblieben war, aber es half nicht eine Beschreibung zu bekommen, mit der sie hoffen konnten, den Dieb ausfindig zu machen.
„Was waren das denn für Bücher? Bruder Ulrich meinte sie wären sehr wertvoll?“
„Ja waren sie, nur noch nicht fertig. Es waren Kopien, die wir für einen reichen Adligen anfertigen sollten. Er hatte gefragt sie vorab zu sehen, um uns eine Teilzahlung zu gewähren. Er hatte hier Geschäfte getätigt und wollte in Naturalien zahlen, damit er sie nicht transportieren braucht.“
„Aber warum habt ihr sie nicht im Kloster gezeigt, da wären sie sicher gewesen?“
„Das wäre wohl besser gewesen, aber das soll nun Bruder Ulrichs Sorge sein. Er hatte eingewilligt, ich war nur der Bote.“
Asylma war nachdenklich.
„Aber du hast mir noch nicht gesagt, was du zu dieser Zeit dort gemacht hast? Die Abenddämmerung war weit vorangeschritten, wenn ich mich recht entsinne.“
„Ich“, begann Asylma und spielte mit ihren Fingern.
„Bleib bei der Wahrheit mein Kind.“
„Ich“, wiederholte sie. „Ich war im Klostergarten.“
„Mhm“, brummte Bruder Johannes. „Im Moment sind nur die Äpfel reif, oder?“
„Ja“, gestand Asylma.
„Stehlen ist eine Sünde, mein Kind.“
„Aber sonst muss ich hungern. Ich würde ja auch dafür arbeiten.“
Das Gespräch nahm den gleichen Verlauf, wie sie es bei Bruder Franziskus gewohnt war.
„Es nützt nichts, dir Bußen aufzuerlegen. Es hat letztes Jahr nichts gebracht, und es wird auch dieses Jahr nichts nutzen. Aber du hast dein Herz am rechten Fleck.“
Asylma blickte beschämt auf ihre Hände und zwang sich diese ruhig zu halten.
„Mir ist aber eine Idee gekommen, wie ich mein Versprechen einlösen kann, und gleichzeitig dir und mir helfe.“
Das klang nicht nach einer Strafe und so blickte Asylma neugierig auf.
„Ich habe immer gerne gelesen, aber seid einigen Jahren kann ich nur unter größter Anstrengung lesen.“
Asylma senkte betrübt den Kopf. Sie erinnerte sich an die Geschichten, die ihr Bruder Franziskus immer erzählt hat und sie würde gerne mehr solcher Geschichten hören.
„Deshalb möchte ich, dass du mir vorliest, mein Kind.“
„Aber ich kann nicht lesen, Bruder Johannes“, erklärte Asylma verwundert und ebenso traurig.
„Ich weiß mein Kind“, lächelte Bruder Johannes verständnisvoll und munterte sie mit einem Griff nach ihrer Hand auf.
„Deshalb möchte ich es dir beibringen. Lesen und schreiben, wenn du möchtest.“
„Natürlich möchte ich“, erwiderte sie begeistert und strahlte über das ganze Gesicht.
„Aber es muss unser Geheimnis bleiben. Nur Bruder Simeon weiß Bescheid. Er wird uns mit allem versorgen, was wir brauchen.“
Asylma war sprachlos.
„Aber du musst mir schwören, es keinem zu sagen. Für uns Beide wären die Folgen zu fürchterlich.“
„Ich schwöre!“
„Dann wirst du nie wieder stehlen müssen“, lächelte Bruder Johannes. „Es scheint als wäre dies Gottes Wille.“
Daraufhin bat Bruder Johannes das Mädchen unter das Bett zu greifen. Dort lag in Leinen eingewickelt ein Wachsbrett und ein Griffel.