Titelbild Das Problem der Armut

Armut als Problem der Chancen(un)gleichheit

Für viele ist der Kapitalismus das Allheilmittel für unsere Probleme, unter anderem auch für das der Armut. Mit dem Satz: „Im Kapitalismus kann jeder reich werden“ scheint für viele alles gesagt zu sein. Dementsprechend geringschätzig werden arme Menschen in unseren Denkschemata bewertet. Wer arm ist, ist irgendwie selbst schuld, denn er könnte sein Schicksal ändern.
Die Wahrheit ist aber eine ganz andere. Denn obwohl es Beispiele gibt, die den Satz bestätigen wollen, spiegelt er nicht die Wahrheit des Problems wieder.

Unter den Armen gibt es sehr viele die außergewöhnlich ehrgeizig, kreativ, innovativ und talentiert sind, aber dennoch niemals das Glück haben, sich zu beweisen und den Lohn zu verdienen, der ihnen zu Teil geworden wäre, wenn sie nicht arm gewesen wären. Das ist dann nämlich nicht mehr mit der lapidaren Äußerung: „dann soll er sich mal anstrengen“ abzutun.

Wenn aber die Herkunft eines Menschen, ob nun geographisch oder allein bezüglich der Wohlstandsschicht darüber entscheidet, welchen Ertrag die gleichen qualitativen Voraussetzungen eines Menschen erwirtschaften können, dann haben wir ein Problem bezüglich der Chancengleichheit. Dann hilft es auch nicht, dies zu relativieren, indem behauptet wird, dass war ja schon immer so. Natürlich war es schon immer so, aber wir – beziehungsweise unsere Vorfahren haben sich dagegen aufgelehnt und dafür gekämpft, dass es für sie anders wurde. Das ist der Grund, warum es heute keine „echte“ Monarchie mehr in wohlhabenden Ländern gibt. Denn die Monarchie, aber auch Religionen und deren Amtsträger haben systematisch die Chancengleichheit unterdrückt, um den Wohlstand für Ihresgleichen zu verfestigen.

Jeder der die Chancenungleichheit toleriert, aber keine Monarchie wie in der Vergangenheit dulden würde, stellt sich als etwas Besseres dar. Entweder er ist unbedarft oder er behauptet, ein besserer Mensch, eine Art höheres Wesen zu sein, dem andere Menschen untertan sein müssen. Das ist nicht übertrieben gemeint, sondern der Gedanke ist konsequent zu Ende gedacht.

Die Chancenungleichheit kommt nicht erst dadurch zustande, dass einer für die gleiche Arbeit ein deutlich niedrigeres Gehalt erhält, oder er andere gesundheitliche und sicherheitsrelevanten Gefahren eingehen muss. Die Ungleichheit kommt bereits dann zustande, wenn einem Individuum nicht die gleichen Voraussetzungen geschaffen sind, die es ihm ermöglichen, seine Potenziale soweit zu entwickeln, dass sie ihm dazu dienen können, im kapitalistischen Jetstream so weit aufzusteigen, wie es ihm einerseits möglich ist und es ihm andererseits von sozialem Interesse ist.

Wenn wir argumentieren möchten, dass der Kapitalismus das Armutsproblem dadurch lösen soll, dass jeder für sich ausreichend Wohlstand erlangen kann, in dem er seine Talente nutzt und fleißig ist, dann muss jedem auch die Möglichkeit gegeben sein, sein Talent zu finden und weiter zu entwickeln. Ansonsten kommt die Aussage jener eines Mörders gleich, der behauptet er habe sein Opfer nicht erschossen, dieses wäre nur nicht auf die Seite gesprungen, als die Kugel kam.

Über allen Gesetzen, die wir erstellen, steht im Grunde der Gedanke, dass wir eine Gesellschaft sind, wobei das meist national oder regional beschränkt ist. In den meisten Köpfen ist es das noch heute. Der Grundgedanke, dass wir eine Gesellschaft sind und als solche funktionieren müssen, kommt nicht von ungefähr und es beruht nicht auf der Gleichheit aller Menschen, sondern vor allem auf deren Ungleichheit – auch das wird von vielen nicht verstanden.

Im Prinzip würden wir heute nicht so leben, wenn es keine gesellschaftlichen Strukturen gegeben hätte. Diese sind für jedwege Weiterentwicklung verantwortlich, die über die Nutzung eines Steines als Werkzeug hinausgeht. Selbst die Sprachen, Grundstein aller Kommunikation, sind ein Erbe der Gesellschaften, bei denen es ein kollektives Verständnis der Bedürfnisse gibt, und dieses Wissen von Generation zu Generation weitergegeben und weiterentwickelt worden ist.

Aller Genialität der Menschen zum Trotz, es hätte keine der Erfindungen der letzten zehntausend Jahre gegeben, wenn wir nicht unser gesellschaftliches Wissen in Form von Bildung weiter gegeben hätten. Keiner aus unserer sogenannten politischen Elite und unserer wohlhabenden Schicht hätte seine Macht und sein Vermögen, ohne die Möglichkeit seine Talente zu entfalten und auf das Wissen vorangegangener Generationen zurückzugreifen. Diese Chance versperren wir aber systematisch den armen Menschen und reden uns mit „dann sollen sie sich eben anstrengen“ aus der Verantwortung.

Diese Chancenungleichheit ist aber für die wirtschaftliche Oberschicht nicht ohne Bedeutung. Auf der einen Seite verzichten wir als Gesellschaft auf all das Potenzial, das durch die Chancenungleichheit in Form von ungenutzten Talenten und Tatendrang verkümmert. Auf der anderen Seite bildet diese Talentwüste eine unsichtbare Mauer, die Reich und Arm trennt und diesen Zustand auf Generationen festigt und vor allem den Reichen auch die für ihren Reichtum benötigten billigen Arbeitskräfte zur Verfügung stellt. Eine klassische Win-Lose-Situation im Sinne des Erfinders, aber nicht im Sinne der Gesellschaft.

Dass wir diese Chancenungleichheit bewusst fördern wird dann deutlich, wenn Menschen aus anderen Ländern herkommen und dann gesagt wird, dass diese uns unsere Arbeitsplätze wegnehmen. Dabei können sie uns keine Arbeitsplätze wegnehmen. Es kann nur sein, dass sie für das gleiche Geld produktiver sind als wir – das ist der Grundgedanke des Kapitalismus, an den wir glauben, aber nicht wollen, dass er funktioniert. Wir wollen, dass es Grenzen gibt, die arme Menschen diskriminieren, ihnen den wirtschaftlichen Aufstieg verwehren und uns Rechte zusprechen auf die die Anderen – die Armen – keinen Anspruch haben. Wir wollen Unfairness – aber zu unseren Gunsten.

Darauf gründet die Angst vor Fremden. Diese Angst, dass sie den Anspruch auf die gleichen Rechte fordern. Die Lobbyisten schüren diese Angst, weil sie uns zufrieden stellt, denn so wissen wir, dass es uns besser geht. Uns allen verschafft dies Sklaven, denen wir nur das Nötigste zum Überleben geben müssen – und das ganz ohne Peitsche, das ist der Vorteil unserer heutigen Zivilisation – Sklaverei auf Distanz. Die Römer mussten noch unter den Menschen zweiter und dritter Klasse leben. Wir nicht, wir gehen zu ihnen, um dort unseren Urlaub zu verbringen und erwarten, dort eine heile Welt vorgespielt zu bekommen. Die Römer und Ägypter waren skrupelloser als wir, aber wir sind zynisch und selbstgerecht.

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2 Gedanken zu „Armut als Problem der Chancen(un)gleichheit“

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